Andante fiorato
Wie immer, wenn sich Kritiker Nowak angemeldet hatte, verliefen die Konzertvorbereitungen angespannt,
und das hatte nichts mit der Musik zu tun: Während Nowak ihr nach 40 Berufsjahren zunehmend gleichgültig
gegenüberstand, hatte er eine immer größere Leidenschaft für Blumendekoration entwickelt. Und so bedachte er die Orchesterleistung in seinen Kritiken nur noch mit lapidaren Lobesworten wie »solide« oder »tadellos«, während er den Blumenschmuck meist energisch verriss. Dabei beließ er es nicht bei blumenimmanenter Kritik wie »schrille Farbkombination« oder »dürftige Rabatten«, sondern verlangte auch Harmonie zwischen Musik und Floristik. Keineswegs durfte etwa Schumanns »Frühlingssinfonie« mit Chrysanthemen kombiniert (»depressive Herbstfratze«) oder eine seiner Ansicht nach »pastellfarbene« Musik mit leuchtender Gerbera dekoriert werden (»knallige Misstöne von der Bühnenkante«).
Es gab also viel zu bedenken, und entsprechend eifrig hatte sich die neue Floristin Cindy Nagel ins Zeug gelegt. Der Konzertdramaturg war schon genervt von den vielen Telefonaten, in denen er die Musik mit Gerüchen und Farben beschreiben sollte, der Orchesterwart verwies immer wieder darauf, dass zwischen den Blumenbergen auch noch Notenpulte ihren Platz finden müssten, und die Beleuchterin machte spöttische Kommentare.
Doch Cindy war zufrieden. Natürlich war die Dekoration ein Risiko, aber mit Allerweltsfloristik konnte man
diesen Nowak sicher nicht beeindrucken, wenn Mahlers 9. Sinfonie gespielt wurde. Cindy zupfte noch einmal prüfend an den überreichen Gestecken aus Totenkopflilien, sah hinauf zu den Girlanden aus tiefschwarzen
Ewigkeitskamelien und Dornwurmranken, die sie von Hand abgeflämmt hatte, und lächelte über die üppigen
Finsterlupinengebinde, die über die Brüstungen quollen.
Sie hatte es geschafft, den Saal in allen floralen Schattierungen von Schwarz erstrahlen zu lassen.
© Ann-Christine Mecke 2022 | erschienen im Gewandhausmagazin 114 (März 2022)
Beitragsbild: Hyo-tan, CC BY-SA 4.0 https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0, via Wikimedia Commons