Dreamboys
Wie stark die Wirkung männlicher Dirigenten auf das weibliche Geschlecht ist, war auch Sebastian Sieprecht lange nicht bewusst: »Klar, Arthur Nikischs Frauengeschichten sind legendär, und über einige meiner lebenden Kollegen gibt es wilde Gerüchte, aber ich persönlich hatte eigentlich keinen besonderen Erfolg bei Frauen. Gegen Ende meiner Zeit als Kapellmeister in Eichenstadt hatte ich allerdings eine Freundin, die immer wollte, dass ich für sie mit nacktem Oberkörper ›Le sacre du printemps‹ dirigiere. Die vielen Taktwechsel machten sie verrückt. Und als mir dann gekündigt wurde und einigen meiner Freunde das Gleiche passierte, kamen wir bei reichlich Rotwein auf die Idee mit der Show.« Gemeinsam mit vier anderen jungen, arbeitslosen Dirigenten gründete Sebastian Sieprecht die Directboys. Mittlerweile tourt die Gruppe durch ganz Europa und füllt immer größere Veranstaltungshallen. »Es ist mir ein bisschen peinlich, aber seit ich ohne Orchester auftrete, bin ich wesentlich erfolgreicher als vorher«, lacht Sieprecht.
Das Publikum der Directboys ist nahezu vollständig weiblich und erscheint meist in größeren, angeheiterten Gruppen. Bei Junggesellinnenabschieden ist ein Ausflug zu den Kapellmeistern ein beliebter Programmpunkt. Das Publikum klatscht und johlt, wenn die fünf jungen Männer verschiedene Taktarten mit und ohne Taktstock andeuten, und die Stimmung erreicht einen ersten Höhepunkt, wenn einer der Directboys einzelnen Zuschauerinnen mit einem aufmunternden Blick einen Einsatz gibt. Mittlerweile nennt Sebastian Sieprecht das, was er tut, selbstbewusst »Dirigier-Erotik«. »Anfangs habe ich es nur wegen des Geldes gemacht, aber mittlerweile genieße ich die Shows sehr. Wenn wir am Ende unsere durchgeschwitzten weißen Hemden ins Publikum schmeißen und die Zuschauerinnen noch Fotos mit uns machen dürfen, fühle ich mich fast wie ein Star.«
© Ann-Christine Mecke 2021 | erschienen im Gewandhausmagazin 113 (Dezember 2021)
Beitragsbild: Gert Mothes