Eingezwängt

»Darf ich mal? Bitte?« Orchesterwart Holzer bemühte sich nicht mehr ernsthaft um Freundlichkeit. Seit 22 Saisons musste er sämtliche Pauken, Tamtams und Kontrabässe durch diesen Gang schaffen, nicht zu vergessen die großen Transportkisten für Kabel, Notenständer und Klebeband, um alles möglichst schnell nach Verstummen der letzten klatschenden Hände wieder im Lkw zu verstauen. Bei acht Konzerten pro Saison waren das mindestens 176 Mal »Darf ich mal bitte?«, und das allein für die Horngruppe, die nach dem Konzert gern an dieser Ecke zum Klönen stehenblieb.

Vor der Tür rauchten einige Musiker die berühmte »Zigarette danach«, aus der Streichergarderobe zog Schweißgeruch herüber, irgendwo im Hintergrund wurden Bierflaschen geöffnet. Endlich konnte Holzer die Kontrabasskiste weiterschieben. Die aufgeregten Stimmen hinter ihm ignorierte er. Erst auf dem Rückweg wurde er angesprochen: »Hast du Melanie gesehen?« – »Nee, vielleicht ist sie schon in die Pizzeria gestolpert?« Die kleine Flötistin war für ihren Hunger ebenso berühmt wie für ihre Ungeschicklichkeit. Aber die Fagottistin wirkte besorgt: »Nein, sie wollte noch irgendwas auf der Bühne suchen!« Holzer zuckte die Achseln, murmelte »kannjamalnachsehn« und beeilte sich, wieder auf die Bühne zu kommen. Pflichtschuldig sah er sich im halbdunklen Saal um, bevor er die große Transportkiste anschob. Nein, hier war kein Mensch mehr.

»Darf ich mal bitte?« – »Ja doch!« Die Hornisten standen immer noch an derselben Stelle, wirkten nun aber angespannt: »Hast du Melanie gesehen?« Kopfschüttelnd drängelte Holzer sich und sein Flightcase vorbei und murmelte »sichselberaufpassn«. Wenigstens die Autogrammjäger sprangen ehrfurchtsvoll zur Seite, als Holzer auf dem Weg zur Laderampe die polternde Kiste beschleunigte. Hatte er da ein Wimmern aus dem Flightcase gehört? Blödsinn. Holzer nahm sich vor, mehr zu schlafen.


© Ann-Christine Mecke 2017 | erschienen im Gewandhausmagazin 94 (März 2017)