Unnötige Spannungen
„Konfliktbewältigung im Orchester ist ein Thema, das ganzheitlich gedacht werden muss“ – so die Überzeugung von Bettina Rossberg vom Sinfonieorchester Oberstadt. Ihr Ensemble nennt sich stolz „das friedlichste Orchester der Welt“. Dabei begann die Entwicklung zur ganzheitlichen Harmonie eher unfriedlich: mit einem Streit innerhalb der zweiten Violinen, der mit Hilfe eines Mediators beigelegt werden konnte. Begeistert meldeten sich auch andere Kollegen zur professionell begleiteten Konfliktbewältigung. Zerstrittene Pultpartner erhielten Paartherapie.
Bald wollten die Musiker die gelernten Prinzipien auch auf Programmwahl und Interpretation anwenden. „Wie fanden es unpassend, Programmmusik mit Kriegsthematik zu spielen, während wir uns sonst um Gewaltlosigkeit bemühen, berichtet Rossberg. „Und es schien uns potentiell gewalttätig, wenn ein Dirigent Tempi vorschreibt, die einige als übereilt empfinden. Bei schnellen Stellen bestimmt jetzt unser schweizerischer Bratscher das Tempo, bei langsamen ein etwas kurzatmiger Hornist.“
Die dafür nötige Gelassenheit erarbeitete sich das Orchester mit spirituellen Übungen. „Wir gingen sozusagen von der Mediation zur Meditation über und fingen an, in der absichtslosen Selbstbeobachtung alle Egoismen abzulegen.“ Die überraschende, aber folgerichtige Wirkung: Bald wollte niemand mehr solistisch spielen. Solo-Passagen spielt das Orchester nun gemeinsam; Solokonzerte stehen wegen der lateinischen Wortherkunft ohnehin nicht mehr auf dem Programm, concertare heißt schließlich kämpfen. „Außerdem wird in Instrumentalkonzerten der Konflikt zwischen Individuum und Gruppe verherrlicht.“ Schließlich entschied sich das Orchester sogar, konsequent auf Dissonanzen wie Dominantseptakkorde zu verzichten – laut Konzertmeisterin Rossberg „alles unnötige Spannungen“. Demnächst soll eine Auswahl entsprechender Noten in der hauseigenen Reihe „Befriedete Musik“ erscheinen.
© Ann-Christine Mecke 2018 | erschienen im Gewandhausmagazin 98 (März 2018)
Zeichnung: Werner Rollow