Der Bürger als Edelsalami

In einem berühmten Brief von 1939 illustriert Richard Strauss seine Ansichten über Musik mit zwei Wurstsorten. Puccini sei mit einer Weißwurst zu vergleichen, die in doppelter Hinsicht kurzlebig sei: Schon zwei Stunden nach Herstellung müsse sie verzehrt sein, und außerdem habe man bald darauf wieder »Appetit auf etwas Reelleres«. Die Salami hingegen – hiermit meint Strauss seine eigene Musik – sei »kompakter gearbeitet « und halte etwas länger vor.

Es ist ein launiger Brief, der Komponist nennt den Empfänger »mein lieber Taktstock«, und bisher glaubte man, auch der Wurstvergleich sei nicht allzu ernst zu nehmen. Auf einem Flohmarkt in Nürnberg ist nun allerdings ein Postskriptum des Schriftstücks aufgetaucht, das die Zeilen in einem anderen Licht erscheinen lässt. Strauss entwirft darin nicht weniger als eine musikalische Ästhetik in Metzgerei-Metaphern. So beklagt er, die Klaviermusik Bachs käme »wegen ihrer kleinteiligen Struktur und der immergleichen Würzung« einem schwäbischen Wurstsalat gleich, Händels Oratorien eher einem »soliden, aber zähen Landjäger«. Weiterhin erklärt Strauss, die »intensive Blutwurst Wagner« sei natürlich nicht jedermanns Geschmack, während Schumann (die »Bockwurst «) wegen seiner »ins Langweilige spielenden Milde« wenig Feinde habe.

Strauss, der in jungen Jahren Kritik für seine exzentrischen Beethoven-Interpretationen einstecken musste, bleibt auch in seiner Wurst-Ästhetik radikal, wenn er von Beethoven als »feuriger Chorizo« schwärmt. Hart geht er jedoch mit seinen Zeitgenossen ins Gericht: Strawinski nennt er eine »grobe Krakauer«, Korngold eine »zu sahnig geratene feine Leberwurst « und den charakterlich schwierigen Mahler »die säuerliche Teewurst«. – Auch die Frage, wie Strauss wirklich zu Hindemith stand, könnte mit Hilfe dieser Quelle nun beantwortet werden. Strauss bezeichnet ihn nämlich als »die Bärchenwurst unter den Komponisten«.


© Ann-Christine Mecke 2022 | erschienen im Gewandhausmagazin 115 (Juni 2022)

Beitragsbild: Gert M