Entfällt!

Adrian Gärtner ist einer dieser stillen Helden, die leicht vergessen werden. Vielleicht hat es damit zu tun, dass seine Tätigkeit nicht leicht zu verstehen ist: Er kümmert sich ehrenamtlich um ausgefallene Konzerte, Theateraufführungen und andere Kulturereignisse, die vorbereitet waren, aber nie stattgefunden haben. Seit März hat er deutlich mehr zu tun als sonst: »Ich war vorher für ganz Deutschland zuständig. Inzwischen teile ich mir das mit Kolleginnen in Münster und Ulm. Trotzdem musste ich meine Kapazitäten enorm erhöhen.«

Tausende ausgefallene Aufführungen tauchen täglich bei Adrian Gärtner auf und wollen beachtet werden. »Meine Aufgabe besteht darin, diese Ereignisse wahrzunehmen, damit sie nicht sinnlos erarbeitet wurden. Ich sehe und höre sie mir an, jedes einzelne. Ich poliere sie, stelle sie ins beste Licht, leihe ihnen mein Ohr.« Dauert das nicht furchtbar lange? Gärtner lacht. »Eine ausgefallene Aufführung ist etwas ganz anderes als eine real stattfindende! Ich höre nicht die Mahler-Sinfonie an, die nicht gespielt wird, sonst würde sie ja gespielt. Nein, ich nehme die Aufführung wahr als das, was sie ist: eine ausgefallene Aufführung. Sie ist trotzdem voller Schönheit, voller Details, die nie realisiert wurden. Es ist schwer zu erklären. Stellen Sie sich Seifenblasen vor oder dieses leise Knirschen, wenn man einen Fuß in den Schnee setzt. Nur noch weniger real. Man muss üben, das wahrzunehmen, und die dabei entstehende Trauer ist schwer auszuhalten. Aber es gibt einem auch viel zurück, wie jedes schöne Ehrenamt.«

Zum Glück kann Gärtner seine Erfahrungen mit Kolleginnen und Kollegen in anderen Ländern teilen. »Wir sind wie eine große Familie und haben uns immer was zu erzählen. Wenn jemand dringend etwas loswerden muss, nutzen wir Videokonferenzen. Aber viel lieber sprechen wir uns beim Jahrestreffen persönlich. Das haben wir noch nie ausfallen lassen.«


© Ann-Christine Mecke 2020 | erschienen im Gewandhausmagazin 107 (Juni 2020)