Schnutenschutz

Überall suchen die Programmverantwortlichen von Kulturinstitutionen nach Werken, deren Aufführung mit den geltenden Hygieneregeln vereinbar ist: Solosonaten, Kammeropern und Ein-Personen-Tanzstücke werden dem Vergessen entrissen oder neu erfunden und einem kleinen, aber dankbaren Publikum präsentiert. Erfreulicherweise hat sich das geeignete Repertoire nun durch einen Fund im Archiv der Stadtbibliothek Lüttmoor in Ostfriesland deutlich vergrößert.

Bislang war kaum bekannt, dass Norddeutschland, Dänemark und die Niederlande 1762/63 von einer epidemischen schweren Atemwegskrankheit heimgesucht wurden. Vielerorts in Norddeutschland wurden Gesetze »Zur Verhüthung des dänischen Brust-Fiebers und der Lungen-Lähmung« formuliert, die freilich nicht auf genauer Kenntnis der Übertragungswege, sondern auf Aberglauben und Erfahrungswerten basierten. Und doch entsprechen viele Vorgaben auch heutigen Pandemieregeln: Es gab nicht nur eine »Verordnung gegen jene, welche Masken eine Feyghertzigkeyt nennen«, sondern auch die Regel, dass »zwey Personen jederzeit eine halbe Ruthe Distantz voneinander zu nehmen haben«.

Weil nun Friedrich II. trotz allem darauf bestand, dass auch in Ostfriesland das Ende des Siebenjährigen Krieges mit aufwendigen Feiern und Festgottesdiensten gefeiert würde, gab der Lüttmoorer Stadtrat 1763 zahlreiche epidemietaugliche Kompositionen in Auftrag, die nun wiederentdeckt wurden. In der erstaunlich gut erhaltenen Sammlung finden sich beispielsweise eine »Toccata für 12 sehr ferne Trompeten mit Instrumentenmützen«, eine Fuge für die vier Orgeln der vier Stadtkirchen, »alle zur gleichen Zeit und mit geöffneter Kirchen-Thüre zu spielen«, sowie eine Oper, »deren Sänger allesamt Schnutenpullis tragen müssen«, mit dem abstrakten Text »Hmmpf«. Die Lüttmoorer Stadtbibliothek verspricht eine rasche Digitalisierung der wertvollen Archivalien.


© Ann-Christine Mecke 2020 | erschienen im Gewandhausmagazin 108 (September 2020)