Reisefieber

Vor einer Orchesterreise müssen die Reiseleiter viel bedenken: Die Harfe mag nicht rückwärts fahren, davon wird ihr schlecht. Sie ist außerdem sehr verträumt und geht beim Umsteigen leicht verloren. Das Fagott braucht mindestens alle zwei Stunden eine Rauchpause, sonst sinkt die Stimmung bedenklich. Und das Cello reist sowieso nur erster Klasse, es stammt schließlich aus dem Hause Amati!

Der Orgel ist das alles zu anstrengend: Sie bleibt zu Hause und lässt sich auf der Reise vertreten. Der Kontrabass kommt oft zu spät und muss dann noch irgendwo platziert werden, was bei seiner Größe nicht ganz einfach ist. Auch die Posaune braucht einen Platz mit Extra-Beinfreiheit; für die Tuba muss bei Flugreisen der Sicherheitsgurt verlängert werden – das darf ihr aber niemand sagen, sonst ist sie beleidigt!

Die Bratschen wollen ein gemeinsames Abteil und machen dann meistens kichernd eine Dose Kolophonium auf. Die Pauke braucht dagegen beim Reisen Ruhe, ohne ihre Schlafbrille steigt sie gar nicht erst ein. Die Klarinette kann bei Aufregung die Klappen nicht halten und nölt alle voll, die in der Nähe sitzen. Neben dem Horn mag auch keiner Platz nehmen – es hat Schalltrichtergeruch!

Die Verpflegung ist ebenfalls ein Problem: Von den Violinen leben fünf vegetarisch, zwei vegan. Das Schlagzeug verzichtet aus religiösen Gründen auf Schweinefleisch, die Tuba versucht es seit einiger Zeit mit Low-Carb. Die Oboe hat tausend Allergien, die ihr Ausschlag am Mundstück verursachen; die Bassposaune braucht doppelte Portionen. Die Trompete besteht auf feinstem Ventilöl, die Flöte hat hingegen ihren eigenen Flachmann dabei – natürlich nur gegen die Aufregung!

Sind alle Türen geschlossen, alle Mundstücke, Dämpfer und Bögen an Bord, wischen sich die Reiseleiter den Schweiß von der Stirn. Erleichtert wenden sie sich den Musikern zu: Wie pflegeleicht sind die Damen und Herren im Vergleich mit ihren Instrumenten!


© Ann-Christine Mecke 2014 | erschienen im Gewandhausmagazin 85 (Dezember 2014)