Zwangsehe

Schulze seufzte schicksalsergeben, als Bergs Kopf auf seine Schulter sank. Der Reisebus schaukelte sanft, die Luft war schlecht, die Gespräche der Kollegen waren verstummt. Bergs leises Schnarchen roch nach Apfel.

Seit 17 Jahren spielten sie am gleichen Pult. Berg war der einzige Mensch, der Verachtung ausdrücken konnte, indem er die Noten auf eine bestimmte Weise umblätterte, und Schulze wusste sich zu rächen, indem er den Bleistift eine Spur zu fest aufdrückte, wenn eine Eintragung zu machen war. In der Pause öffnete Berg stets eine Plastikdose mit Apfelschiffchen. Früher hatte er ihm immer eins angeboten, und Schulze hatte zugegriffen, obwohl er Äpfel nicht mochte. Hätte er abgelehnt, hätte er damit zugegeben, dass schon das erste »Oh, danke!« an seinem ersten Tag im Orchester eine Lüge gewesen war.

Es hatte sich erstaunlich wenig verändert, seit sie vor sechs Jahren aufgehört hatten, miteinander zu sprechen. Schulze hatte Bergs Frau bei einer Feier auf den Hintern gehauen, und Berg hatte Schulze dafür Bier in die Lackschuhe gegossen. Seitdem packten sie ihre Instrumente schweigend ein und aus. Immerhin bekam er keine Äpfel mehr angeboten.

Reisen waren am schlimmsten. Oft mussten sie sich ein Doppelzimmer teilen, denn die Kollegen hatten alle ihre festen Zimmerpartner. Täglich beim Frühstück hörte Schulze, wie Berg in seinem grässlichen Englisch Apfelschiffchen bestellte. Und oft genug kamen sie auch im Bus wieder nebeneinander zu sitzen. Nur für Flugreisen hatte Schulze eine todsichere Taktik: Er wusste, dass Berg immer einen Fensterplatz verlangte, um seine blöden Fotos zu machen. Und so bestand auch Schulze auf einem Fensterplatz, obwohl ihm beim Hinaussehen schlecht wurde. Die Stunden allein waren es wert. Einmal hatte Schulze geträumt, eine Stewardess würde ihm stolz ein Flugzeug mit nebeneinanderliegenden Fensterplätzen präsentieren.

Es war ein blutiger Traum.


© Ann-Christine Mecke 2012 | erschienen im Gewandhausmagazin 75 (Juni 2012)