Beethovens hässliche kleine Schwester

Die Wissenschaft war bisher davon ausgegangen, dass nur zwei Brüder Ludwig van Beethovens das Kleinkindalter überlebten. Doch nun konnte eine Musikwissenschaftlerin nachweisen, dass Beethovens »hässliche kleine Schwester« Josepha »Josi« Eleonore van Beethoven (1772–1829) nicht nur existierte, sondern von großer Bedeutung für den Komponisten war. Leider ist von ihr nur wenig überliefert: Sie zerstörte gegen Ende ihres Lebens sämtliche ihrer Kompositionen und viele Dokumente in einem Anfall von Selbsthass.

Die verbleibenden Quellen zeigen jedoch, dass die beiden Geschwister schon früh ein inniges Verhältnis hatten, sie spielten vierhändig Klavier und erfanden Kanons in rheinischer Mundart. Beide erkrankten 1777 an den Pocken, was für Josi empfindlichere Folgen hatte als für Ludwig: Galt der Komponist später als nicht unbedingt schöner, aber doch interessanter Mann, wurde die pockennarbige Josi als fortan völlig entstellt empfunden.

Als die Mutter 1789 starb, ging Josi als erstes Familienmitglied nach Wien und nahm kurzzeitig Unterricht bei Mozart. 1792 holte sie ihren Bruder nach, half ihm bei der Wohnungssuche und brachte ihm wienerische Schimpfwörter bei. Aber Josis Unterstützung ging weit über solche Hilfen hinaus: Regelmäßig korrigierte und ergänzte sie auf Ludwigs Bitte dessen musikalisches Skizzenbuch. Ihr cholerischer Charakter, den sie mit ihrem Bruder teilte, stand ihr bei ihrer eigenen musikalischen Karriere im Weg – sie fand weder Kompositionsaufträge noch Klavierschüler. In der Wiener Gesellschaft wurde sie nur »die schiache Krampen« genannt.

Obwohl der Komponist darauf achtete, sich in der Öffentlichkeit nicht mit Josi blicken zu lassen, blieben die Geschwister bis zu Ludwigs Tod eng verbunden, leerten viele Flaschen Wein gemeinsam und genossen offenbar auch die zahlreichen gegenseitigen Beschimpfungen. Josepha starb vereinsamt und alkoholisiert im Wiener Prater.


© Ann-Christine Mecke 2020 | erschienen im Gewandhausmagazin 106 (März 2020)