Konferenzkonzert
Bei den ersten pandemiebedingten Internet-Konzerten ohne Saalpublikum vermissten die Künstlerinnen und Künstler die Rückmeldung des Publikums. Immerhin: Beim Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker konnten ausgewählte Zuhörer in ihre Handys applaudieren, das wurde in den Saal übertragen, und die Musiker spürten, dass ihnen tatsächlich viele zuhörten. Aber nur am Schluss, als alles vorbei war.
Was wird die Zukunft bringen, die durchgehende Übertragung alller Publikumsreaktionen während des Konzerts? So einfach ist es nicht – dann würden wir alle ungefiltert hören, wie jemand konzertbegleitend staubsaugt oder dicht am Mikrofon Suppe schlürft. Selbst unser »pst« würde sich wirkungslos in das Zuschauerbrausen mischen. Nein, wir brauchen ein System, das uns akustisch auf einen bestimmten Platz setzt: Eine Software mischt die von uns produzierten Geräusche sorgfältig ab, sodass das Staubsaugen aus dem Rang links kommt und das Schlürfen von rechts. Dann reißt man sich eher zusammen, und für die Musiker ist das akustisch differenzierte Publikum nicht so überwältigend.
Aber warum das Hörerlebnis nicht auch an den jeweiligen Sitzplatz anpassen? Als Abonnentin hört man schließlich gern von seinem vertrauten Platz, ganz vorn, dicht bei den Bässen. So könnte man sogar dem Nachbarn etwas zuflüstern, was dank der Software nur im Umkreis gehört würde. Und sollte es jemanden stören, könnte er »pst« zischen – zielgerichtet!
Besonders toll stelle ich mir mit dieser Technik eine Online-Aufführung von John Cages 4’33’’ vor, einem Werk, das nur aus Pausen besteht. Das Publikum bliebe ganz den selbst erzeugten Geräuschen überlassen. Welches weltweit vernetzte Spiel würde entstehen? Ich bin sicher, wir sozialen Wesen verließen dieses Fest der Resonanzen nicht nach 4 Minuten und 33 Sekunden, sondern die letzten Konzertbesucher müssten in den frühen Morgenstunden aus dem virtuellen Saal geklickt werden.
© Ann-Christine Mecke 221 | erschienen im Gewandhausmagazin 110 (März 2021)