Wettrüsten

»Richard ist Leipziger« – eine breite Akzeptanz dieser schlichten Tatsache hätte vieles verhindern können. Dabei war es wahrlich nicht Leipzigs Schuld, dass der Slogan überregional nur wenig Gehör fand. Schließlich hatte man sogar ein ganzes Einkaufszentrum zu Ehren Wagners gebaut. Und dann das: Mit »Wo Wagner Wagner wurde« warb ausgerechnet Dresden in der überregionalen Presse für das eigene Festjahr. Eine Provokation!

So empfand man es auch in Bayreuth und konterte mit »Wo Wagner seinen Traum verwirklichen konnte« – was München lakonisch mit »Wo das Geld für Wagners Traum herkam« beantwortete. Einen ähnlichen Kampf lieferten sich bald darauf Magdeburg (Plakate: »Wo Wagner seine Liebe fand«) und Wiesbaden (Fernsehspot: »Wo Wagner seine wirkliche Liebe fand«).

Weitere Aufrüstung kam aus Zürich, das seine Kampagne »Die Stadt von Oper und Drama« mit aggressiven Methoden auf Twitter, Facebook und Nachtkritik populär machte. Frankreich setzte derweil durch, dass EU-weit der Satz »Le Hollandais volant est parisienne« in Baguettes eingeritzt werden muss. Kurz darauf hielt die Welt den Atem an, als italienische Flugzeuge »Parsifal proviene da Palermo« in den Pariser Himmel schrieben. Eine UN-Resolution, die die Verschmutzung des französischen Luftraums durch Stabreime verurteilte, scheiterte am Veto Russlands, das selbst an einer umstrittenen Kampagne feilte: 99 Millionen Luftballons mit der Aufschrift »St. Petersburg: Wo Wagner schon zu Lebzeiten geliebt wurde« sollten über Sachsen abgeworfen werden.

Der erste Schritt zur Deeskalation kam überraschenderweise aus Sachsen-Anhalt. Die Stadt Eisleben kehrte mit dem Kommentar »Lieber der alte Streit mit Wittenberg als das!« freiwillig zum bewährten »Martin Luthers Heimatstadt« zurück. Kenner vermuten jedoch, dass der eigentliche Grund für den Rückzug der geringe Erfolg des Slogans »Die Stadt von Richard sein’ Onkel« war.


Erschienen im Gewandhausmagazin 77 (Dezember 2012)

© Ann-Christine Mecke 2012 | erschienen im Gewandhausmagazin 77 (Dezember 2012)